Der liberale Philosoph Isaiah Berlin unterschied in einem Essay zwei Arten von Denker: Füchse und Igel.
- Füchse sind Denker, die viele Idee, Blickwinkel und Paradigmen kennen und nutzen, je nach Situation, selbst wenn diese widersprüchlich sein können.
- Igel hingegeben haben eine große Idee und erklären sich die Welt stets anhand dieser einen Idee.
Stellen wir uns dafür ein Gespräch mit einem Marxisten vor: Für den gläubigen Marxisten
Ganz ähnlich könnte ein Gespräch mit einer Linksradikalen ablaufen. Für sie sind alle Probleme eine Begleiterscheinung der Ungleichheit (traditionell als Klassenkampf gedacht, heute eher identitär). So erklärt sie sich gesellschaftliche Missstände immer als dasselbe Problem in unterschiedlicher Erscheinungsform. Kriminalität? Ungleichheit. Armut? Ungleichheit. Migrationsströme? Ungleichheit. Terrorismus? Ungleichheit. Klimawandel? Ungleichheit. Die Idee, die in ihrem Hinterkopf schlummert, ist, dass in ihrer klassenlosen Utopie diese Probleme nicht mehr existieren würden. Das Problem: Das wollen die Profiteure der Ungleichheit natürlich nicht, würde sie uns mit wissendem Lächeln erklären.
Stellen wir uns ein Gespräch mit einem Fremdenfeindlichen vor: Für ihn lässt sich jedes Problem seines Landes mit Ausländern erklären. Kriminalität? “Was erwartest du, wenn wir einfach alle hereinlassen?” Ein Defizit im Staatshaushalt? “Sie kommen hierher und saugen unseren Sozialstaat aus!” Wenn man erwidert, dass auch Einheimische Verbrechen begehen oder den Sozialstaat ausnutzen, würde er antworten: Die mögen auf dem Papier unsere Nationalität haben, aber das sind keine echten Einheimischen! Der Fremdenfeindliche ist ein Igel, der eine große Idee hat und sich damit alles erklärt. Die irreale nationalistische Utopie in seinem Kopf bedingt dabei ein fremdes Element, um sich die Realität zu erklären.
Ein weiteres Beispiel ist eine evangelische Freundin von mir: Für sie ist der Kampf zwischen Gott und dem Teufel tatsächlich real. Alles Gute kommt von Gott und alles Böse vom Teufel. Als ich ihr einmal geholfen habe, die Miete zu bezahlen, hat sie Gott dafür gedankt, dass er durch mich gehandelt hat. Gott kann sich eigentlich nur zurücklehnen und die Show genießen, denn was auch immer passiert, Zoe wird ihm alles Gute zuschreiben, das andere für sie tun.
Solche großen Ideen dienen als Anker für die eigene Weltanschauung. Konzepte, die eine zentrale Bedeutung für unser Verständnis der Welt erlangt haben, so dass sie heilig sind. Das heißt, ein Konzept - eine Idee - erlangt einen solchen Stellenwert in unserem Denken, dass es Respekt und Verehrung verdient. Wenn dann jemand dieses Konzept in Frage stellt, kann man sich durchaus beleidigt fühlen. Die Existenz Gottes in Frage zu stellen, der eigenen Nation schlechte Eigenschaften zuzuschreiben, die Effizienz der Märkte anzuzweifeln, darüber nachzudenken, ob die Kluft zwischen Arbeit und Kapital überhaupt zentral ist, zu argumentieren, dass Männer und Frauen im Durchschnitt aufgrund biologischer Unterschiede in bestimmten Berufe nie zur Hälfte vertreten sein werden, in Frage zu stellen, ob Ungleichheit für die Erklärung gesellschaftlicher Missstände wichtig ist - all das wird Igel aufrütteln, die sich einer großen Idee verpflichtet fühlen.
Auch die Feststellung, dass “die Natur” oft unvollkommen, chaotisch, sadistisch und blutrünstig ist, wird von vielen Igeln nicht akzeptiert. Warum? “Natur” könnte einfach ein Wort wie “Lawine” sein, das einen Prozess bezeichnet.
Wenn man beginnt, einem solchen Prozess normative Werte zuzuschreiben, vergisst man zuallererst, dass “Natur” überhaupt ein menschliches Konzept ist. Nur weil man etwas einen Namen und Eigenschaften gibt, heißt das nicht, dass es auch so existiert!
Der Wunsch, dass Mutter Natur tatsächlich existiert, ist in dem Blockbuster Avatar von 2009 gut eingefangen worden. Darin dringen wir bösen kapitalistischen Menschen wegen der natürlichen Ressourcen auf einen Planeten ein und zerstören alles, was sich uns in den Weg stellt, im Stil einer gecharterten Handelsgesellschaft. Der Planet Pandora wird von großen, blauhäutigen Humanoiden, den Na’vi, bewohnt, die in perfekter Harmonie mit der Natur leben. Nach vielen spektakulären Spezialeffekten scheinen die Menschen das letzte Gefecht gegen die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Na’vi zu gewinnen und verteidigen tapfer ihren heiligen Baum. Doch gerade als alle Hoffnung verloren ist, wird der feuchte Traum eines jeden Biobauern wahr: Die Muttergöttin Eywa, zu der die Na’vi gebetet hatten, existiert tatsächlich! Sie ist ein reales, fühlendes, achtsames Wesen, das durch die neuronenartige Interaktion der Baumwurzeln entsteht. Obwohl Eywa sich normalerweise nicht einmischt, offenbart sie sich jetzt und mobilisiert alle lebenden Organismen gegen die böse menschliche Armee und besiegt sie. Mutter Natur gibt es wirklich! Halleluja!